Hoffnungsvolle Vorfreude. Hundertfaches Stimmengewirr. Lachen und erwartungsfrohes Geflüster. Noch schnell den zugewiesenen Platz finden. Orchestrale Töne. Keiner Melodie folgend. Disharmonisch. Und doch Erwartungen erzeugend. Sanft erlischt die Beleuchtung. Abrupt enden die musikalischen Töne. Das Publikum verstummt. Und dann betritt er den Raum. Lichtstrahl auf ihn. Und es wird laut. Sehr laut. Das Publikum applaudiert begeistert. Er hebt den Taktstock. Totale Stille im Raum. Und dann? Ein Schlag aufs Becken, Töne aus Blasinstrumenten, wie durch ein Wunder entstehende Harmonien von Violinen - vieltönend, laut und stark. Um dann ganz zärtlich, fast zögerlich zu erklingen. Hauchzarte, süße, melodiöse Klänge steigen wie zarte Taufäden aus dem Orchestergraben auf. Um dann wieder kraftvoll wie ein Wasserfall herunter zu donnern. Kraft und Energie erzeugend. Der Raum ist erfüllt von Dramatik, Schwere und Leichtigkeit. Die verzaubern. Berühren. Verführen.
Tina ist glücklich. Glücklich darüber, hier zu sein. Das es dunkel ist. In der Anonymität der Finsternis, inmitten von hunderten Besuchern, kann sie sich ihren Empfindungen hingeben. Die sie gerade überwältigen. Eine wohlige Gänsehaut streicht zart zuerst über ihre Arme. Um dann den gesamten Körper zu erobern. In ihren Augen spürt sie zaghafte Tränen. Dankbar lässt sie sie zu. Kühlend kullern sie über die vor Begeisterung glühenden Wangen. Sie hört, ja sie spürt die Musik. Mit allen Sinnen und jeder Faser ihres Körpers.
Dann öffnet sich, von unsichtbaren Kräften nach oben gezogen, der schwere Bühnenvorhang. Und lenkt den Blick auf eine, an ein Labyrinth erinnernde, Wände- und Zimmerflucht. Minimalistisch gestaltet und fern jeder Märchenhaften Ästhetik. Aus der Tiefe des Raumes erklingen um so harmonischer wunderschöne Stimmen. Schillernd, hell. Dazu führt die Musik aus dem Orchestergraben frisch und beschwingt durch die Szene. Nach und nach erfüllen immer mehr sagenhafte Stimmen verschiedener Sänger und Sängerinnen den Raum. Die Luft scheint zu klingen …
Tina schließt die Augen. Die Inszenierung auf der Bühne stellt sie vor Rätsel. Lenkt sie ab. Aber hinter dem Dunkel der geschlossenen Augen fühlt sie sich federleicht schwebend auf den so wohlklingenden Stimmen und der Musik getragen. Dann ertönt zum ersten Mal die magische Flöte von Papageno. Sie öffnet die Augen. Und erschrickt! Der Regisseur hat Papageno in einen kanariengelben Anzug samt gelber Sneaker gesteckt. Ok - ein weiteres frisches Element einer modernen Inszenierung - denkt sie.
Ist es nicht wunderbar, den Tag mit einer Geschichte zu beenden und in eine andere Welt abzutauchen.
Durch sein Flötenspiel gelingt es Papageno, wilde Tiere zu zähmen und Feindseligkeit in Mitmenschlichkeit zu verwandeln. Er und die weiteren Protagonisten aus Mozart‘s Zauberflöte halten Tina weiter selig in ihrem schönen Traum. In „ihrer“ momentan anderen Welt. Sie fühlt sich sanft umfangen. Fast unwillig öffnet sie die Augen zum Ende des ersten Satzes.
Die Pause führt sie raus. Ins Foyer. In eine ganz andere Welt. Die Menschen schlendern, mit einem Getränk in der Hand, gemächlich durch‘s Foyer. Lachen, Gläser klimpern, Stimmengewirr. Die Besucher genießen die Aussicht auf Teile der Frankfurter Skyline oder werfen einen Blick auf die Wolken aus Kupferblech von Zoltan Kemeny. Letzte Sonnenstrahlen zaubern einen fast magischen Glanz in das lange gläserne Foyer.
Tina freut sich auf den zweiten Aufzug. Auf die Ruhe und Dunkelheit im Opernhaus. Und die wunderbare Musik. Sagenhafte Stimmen. Die sie sanft oder stark, je nach Szene und Ausdruck, umhüllen. Sie taucht wieder ab. In diese magische Märchenwelt. Genießt. Und schwelgt.
Aber urplötzlich ist der Zauber vorbei. Frenetischer Applaus brandet auf. Standing Ovation. Wahre Begeisterung entlädt sich. Glückliche Opernbesucher und entspannt lächelnde Sängerinnen und Sänger. Beseelt eilen die Menschen nach draußen in die Nacht. In ihre Welt.
Und Tina? Sie ist dankbar. Die Oper-Frankfurt hat ihr mit Mozarts Zauberflöte in modernem und frischem Gewand einen unvergesslichen Abend bereitet. Jetzt steht sie am Willy-Brandt-Platz. In dieser Welt ist es jetzt nasskalt und sehr stürmisch. Dann steigt sie in die Straßenbahn. Und hier tun sich erneut neue Welten auf. Nach 35 Minuten ist sie zuhause. Zuhause in ihrer Welt. Glücklich. Und dankbar für diesen Ausflug in andere Welten.
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