Sie schiebt es dahin. Wo es hingehört. Da steht es nun. Das Buch. Schwarzes Cover mit erhabenen phosphoreszierenden Ornamenten. Schaut geheimnisvoll aus. Und liegt angenehm in der Hand. Mit seiner griffigen Struktur. Die Autorin: Kunigunde Dunkelherbst. „Anfang vom Ende“ lautet der Titel. Einsortiert bei den Neuerscheinungen im Bereich Belletristik. Unter dem Hinweisschild: Neu + lesenswert!
Sie sitzt in der Lese-Ecke. Schielt über ein schwarzes Buch. Mit erhabenen phosphoreszierenden Ornamenten. Voller Erwartung. Neugierde. Kribbelnde Spannung überzieht ihren Körper. Wohlig und anregend. Ach was, eher aufregend. Die Nerven sind auf Hochspannung. Und die grauen Zellen hyperaktiv. Wirre Gedanken- und Ideenfetzen irrlichtern durch‘s Hirn. Wer wird die Person sein, die als erste zu dem schwarzen Buch greift? Und wie? Wird es ehrfurchtsvoll hochgenommen? Der schöne Einband wohlwollend befingert? Wird der Klappentext zuerst gelesen? Oder direkt irgendwo reingeblättert? Auf welcher Seite verweilen die Augen? Und wie wird die Reaktion sein? Stirnrunzeln, Erheiterung, Traurigkeit, Nicken oder Kopfschütteln? Wird weitergeblättert? Oder das Buch weggelegt. Und zum nächsten gegriffen?
In ihrem Adrenalin-geschwängerten Kopf kreisen wilde Phantasien. Die Spannbreite der Empfindungen ist adlerschwingenbreit. Von Himmelhoch-Jauchzend bis zu Tode betrübt. Die sprichwörtliche Achterbahn der Gefühle.
Sie hat sich extra einen Besucherstarken Tag ausgesucht. SchlaDo - schöner langer Donnerstag. Da hat die Bibliothek bis 21.00 Uhr geöffnet. Das wird gerne wahrgenommen. Sich am Abend ganz entspannt mit neuem Lesestoff zu versorgen.
Es dauert so seine Zeit, bis die ersten Besucher zur Sparte „Neu + lesenswert“ kommen. Auf einmal steht er da! Ihr Wunschleser! Groß, coole Brille, leicht ergrautes Haar. Sympathisch. Und greift beherzt zu dem Buch mit dem schwarzen Cover. Runzelt etwas die Stirn. Blättert rein. Und beginnt zu lesen. Vertieft. Gepackt. Blättert viele Seiten weiter. Seine Augen gleiten über Buchstaben und Wörter. Ein unterdrücktes Kichern verlässt seinen Mund. Und schwups landet das Buch in seiner Bibliothekstasche.
Hui - jetzt muss sie erst einmal Luft ablassen. Mit hochrotem Kopf sitzt sie in der Lese-Ecke. Langsam löst sich die Körper-Anspannung. Diese Reaktion hat sie sich immer gewünscht, davon geträumt. Und sich diese Gedanken immer wieder verboten. Gezweifelt. Gehadert. Gezögert. Als Hirngespinst abgetan.
Kindliche Unbekümmertheit mit klarem Ziel
Das ändert sich jedoch schlagartig. Als sie die entzückende Geschichte von Dillon liest. Der Achtjährige hat ein Weihnachtsbuch geschrieben und illustriert. Ihm war wichtig, dass das Buch von vielen Menschen gelesen wird. Nicht nur von seiner Familie. Also schmuggelt er sich an der Bibliothekarin vorbei und stellt es ins Regal zur Belletristik der örtlichen Leihbücherei. Und da wird das Buch auch gefunden. Gelesen und für gut befunden. So gut, dass mittlerweile eine Monatelange Warteliste besteht. Und erste Verlage das Werk publizieren möchten.
Sie denkt: Der hat Mut, der Kleine! Mumm, Schneid und Traute. Ist furchtlos und kühn. Hat Courage. Hat etwas mitzuteilen und will andere daran teilhaben lassen.
Und so landet ihr erstes Buch, das mit dem schwarzen Cover, in der Bibliothek!
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