Menschen, Vorgänge und Situationen zu beobachten ist ein kostenloses, jederzeit verfügbares Hobby – wie Filme streamen, nur ohne Abonnement und häufig mit besseren Stories. Ob im Zug, im Supermarkt, zu Hause oder vorm Fenster im Büro: Überall wimmelt es von Geschichten, die das Drehbuch zur Serie "Leben" bereichern. Aber: Was machen wir eigentlich, wenn wir beobachten?
Ich sitze am Schreibtisch und beobachte. Das Stück Welt vor meinem Fenster. Der Himmel zeigt sich in mindestens 50 shades of grey. Und weint. Bitterlich. Ob er traurig ist, weil das neue Jahr schon wieder alles andere als friedlich beginnt? Oder ob er einfach die vielen Schattierungen loswerden möchte? Wohl eher ein Wunsch meiner nach Frieden, Sonne und Wärme treibenden Gedanken. Hier soll es ums beobachten gehen. Also schaue ich. Ich beobachte den Tanz der Tropfen. Jeder Tropfen hat seine eigene Choreografie. Wenn ich meine Augen fokussiere, kann ich den kleinsten Wasserspritzer wahrnehmen. Manchmal fallen sie ganz leicht, fliegen fast. Lasse ich meinen Sehnerv los, fällt Wasser vom Himmel. Jetzt rinnt es und kennt nur einen Weg: den nach unten. Ich öffne das Fenster und lausche dem rhythmischen Klang des Regens. Es ist, als würde die Natur ein Konzert nur für mich spielen. Puh, rasch wird es kalt. Schnell schließe ich das Fenster und bin glücklich, im trockenen Arbeitszimmer zu sitzen. Die Wärme der dampfenden Teetasse tut meinen klammen Finger gut. Ich schaue weiter dem Regen beim Regnen zu. Dabei beobachte ich einzelne Tropfen, wie sie sanft im immergrünen Geäst des Lebensbaumes funkeln wie zarte Kristalle. Und hängen bleiben. Andere werden durch neue, dickere Wassertropfen verdrängt. Ein Windstoß schüttelt an den nach oben strebenden Ästen des Baumes. Jetzt fallen die Regentropfen nicht nur vertikal, nein, der Wind pustet sie nun auch horizontal an mein Fenster.
Pah denke, ich, was’n Schi**t-Wetter! Schön, dass ich hier mit heißem Tee im Trockenen sitzen kann. Und nicht zwingend rausmuss, in diesen nassen, kalten, unschönen Januar-Tag.
Die Fähigkeit, zu beobachten, ohne zu bewerten, ist die höchste Form von menschlicher Intelligenz.
Jiddu Krishnamurti
Oh ja, wenn das nur so einfach wäre. Denn direkt beim Beobachten der Regentropfen geht meine Denkmaschine an. Woher kommt der Regen? Warum sind Tropfen eigentlich tropfenförmig? Puh, ist das nasskalt. Warum muss es nur ständig regnen? Dabei soll es doch ums Beobachten gehen. Und nicht ums Bewerten. Meine Gedanken drehen jedoch weiter. Ich denke, dass ich das pure Beobachten verlernt habe. Ich bin Meisterin im Analysieren, Hinterfragen und differenziertem Betrachten. Sprich: Januar, grau, Regen, nass, kalt, schei**e. Dabei geht es beim Beobachten nur um eins: das, was ist, oder gerade passiert, einfach bewusst zuzulassen und zu erleben. Soll heißen: Es ist grau und es regnet. Nicht weniger nicht mehr! Eigentlich ganz easy, oder?
Uns fällt es häufig schwer "nur" zu beobachten und nicht zu bewerten. Verwechseln wir das, was wir sehen mit unseren Gedanken darüber, reagieren wir nicht auf das Geschehen, sondern auf unsere eigene Bewertung,. Das führt nicht nur im eigenen Kopf zu Durcheinander. In der Interaktion mit anderen kann es zu Missverständnissen führen, wenn wir auf etwas reagieren, dass nicht in der Realität, sondern nur in unserem Kopf stattgefunden hat.
Bewusstes beobachten
In der Meditation gelingt mir das Beobachten meist ganz gut. Hier dient es der Aufgabe, aufkommende Gedanken zu betrachten, statt sie loszuwerden. Es ist fast so, als würde ich innerlich einen Schritt zurücktreten, um das Denken vorbeiziehen zu lassen. Wie die Regentropfen da draußen auf dem Lebensbaum. Die tropfen und tropfen ... und herabfallen.
Beobachten, und nur das, geht auch im Alltag. Ich kann jederzeit und überall bewusst hinschauen. Zum Beispiel wartend in der Schlange an der Supermarktkasse, in der Bahn, wenn ich im Café sitze. Dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf das, was ich sehe. Ich bemerke aber auch die Gedanken, Erinnerungen, Impulse die auftauchen. Nur schenke ich diesen keine weitere Beachtung, sondern kehre mit meiner Aufmerksamkeit wieder auf die Beobachtung der Situation, des Objektes zurück.
Soweit die Theorie. Nur, wie soll ich die Beobachtung, dass dem Typ vor mir gerade ein 100 € Schein heruntergefallen ist, einfach ziehen lassen?
Beobachten ist ein kostenloses, jederzeit verfügbares Hobby – mit nicht nur einem Wimmelbild voller Geschichten.
Was wohl meine Schreibfreundinnen so alles beobachten? Und vielleicht auch bewerten?
Hier kannst Du es nachlesen. Viel Freude dabei.
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