„Ich bin zufrieden“, sagte mein Papa immer, da war er schon lange im Ruhestand, wenn man ihn fragte, wie es ihm geht. Aber – ist das für ein Leben ausreichend? Und was macht zufrieden? Ist es die schöne Wohnung, der Garten, die Familie, Freunde und Gesundheit? Oder braucht es da noch etwas anderes?
November. Früher Morgen. Grau. Heute ist ein Tag, an dem es wahrscheinlich nicht richtig hell werden wird. Eingemummelt mit Schal und Mütze starte ich meine morgendliche Laufrunde. Nach wenigen Metern durch den bunt belaubten Mischwald erreiche ich die große Wiese. Die wirkt heute fast ein wenig unheimlich. Graue, undurchsichtige Nebelschwaden hängen ganz tief. Knie-hoch kriechen feuchte Wolkengebilde über die Ebene. Weiter oben, also so in etwa 1,70 Höhe, da wo mein Kopf mit der dicken Mütze sich befindet, ist es klar. Novembergrau. Kühl. Aber klar.
Vorsichtig tasten meine Füße nach dem Weg. Plötzlich ein leiser, jedoch deutlicher Schrei. „Aua – pass doch auf, wo Du hintrittst.“ Verwirrt bleibe ich stehe und schaue mich um. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Und doch war da eben diese Stimme. Leise, aber unmissverständlich. Ungläubig schüttle ich den Kopf. Hab’ ich das richtig gehört? Ich will schon weiter laufen, als ich ein Ziehen am linken Hosenbein spüre. Langsam zweifle ich an meinem Verstand. War das doch zu viel Rotwein gestern Abend? „Hey, Du, bleib stehen. Ich muss mit Dir reden!“ tönt es aus dem Nebel zu meinen Füßen.
Ungläubig bücke ich mich. Tauche hinab durch die Nebelschwaden und zweifle nun auch an meinen Augen. Da steht ein kleines Wesen mit forschem Gesicht. Sehr klein ist das Kerlchen. Spontan fallen mir finnische Trolle ein. Nicht, dass ich jemals einen gesehen hätte. Aber Bilder davon.
Jedoch steht hier im Stadtwald, an der Wiese, so ein Fabelwesen vor mir. Und will mit mir reden. Ok, denke ich. Mal hören, was das Kerlchen so zu sagen hat. Resolut fordert es: „Lass uns bis zum Struwwelpeter gehen. Da sind wir dann auf Augenhöhe!“ Bevor ich etwas entgegnen kann, ist das Kerlchen weg. Und ich denke: na gut, da will ich eh entlang. Wenige Minuten später stehe ich vor dem Struwwelpeter.
Und da sitzt das Kerlchen. Im Astloch. Das quasi Nase und Mund der haarigen Märchengestalt darstellt. „Na endlich bist Du da“, sagt es leicht provozierend. „Ich muss Dich was fragen. Wie ist das bei Dir? Bist Du zufrieden?“
Normalerweise rechne ich auf meinem Weg eher mit Tretminen aus Hundesch**e als mit dieser unwirklich wirkenden Begegnung und solch einer Frage. Und dann auch noch gestellt von einem kleinen Kerlchen. Von dem ich nicht recht weiß, was es ist und was es wirklich will.
Verwirrt ob der Situation antworte ich: „Ja, ich bin ganz zufrieden!“
Erbost erwidert das Kerlchen: „Wie geht denn das? In Anbetracht der Tatsache, dass Menschen, gefühlt, nie zufrieden sind. Und dann auch noch die Situation in der Welt! Gewalt, schreckliche Verbrechen und Kriege, Naturkatastrophen … wie kannst Du da sagen, Du bist zufrieden?"
Tja, sage ich: Da hast Du recht. Das alles und noch viele andere Umstände können auch meine Zufriedenheit durchaus schwächen. Oder in Gefahr bringen.
„Und – was machst Du dann?“ - fragt es ungeduldig …
„Dann gehe ich in den Wald.", antworte ich.
„Papperlapapp“, unterbricht es mich. „Der Wald ist ein Kraftort, das weiß ich wahrscheinlich besser als Du. Aber er kann nicht alles.“
„Das stimmt“, entgegne ich. „Aber, der Wald kann vieles. Er öffnet mir die Augen für eine klare Sicht auf die Dinge, auch wenn Nebel herrscht. Gibt mir Ruhe, Sauerstoff. Meine Wege durch den Wald lassen mich bei mir ankommen. Und das macht mich jeden Morgen wieder und wieder dankbar.“
„Willst Du damit sagen, Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Zufriedenheit?“, fragt das Kerlchen.
„Ja, ich denke schon.“, antworte ich. „Ich bin dankbar für das, was ich habe. Ein sicheres Dach über dem Kopf, eine gemütliche, warme Wohnung. Ich bin dankbar dafür, in diesem Land leben zu können. Frei und relativ beschützt. Ich bin dankbar, die Wahl zu haben. Und sie auch auszuführen. Ich bin dankbar für meinen Lieblingsmensch und liebenswerte Menschen um mich herum. Ich bin dankbar, für die unzähligen Erfahrungen, die ich in den zurückliegenden Jahren sammeln durfte. Auch für die, die überhaupt nicht zu meiner Zufriedenheit führten."
Das Kerlchen zappelt in dem Astloch herum und fällt mir ins „Wow! Und das macht Dich zufrieden? Sich mit dem Gegebenen, den Verhältnissen in Einklang zu befinden. Innerlich ausgeglichen zu sein und keine Veränderung der Umstände zu wünschen? Ich hab‘ das nachgelesen. So beschreibt der Duden „zufrieden sein“. Damit bist Du zufrieden???“
Ich schüttele den Kopf und erwidere: „Nein, so sehe ich das nicht. „Ich bin zufrieden“, sagte mein Papa immer, da war er schon lange im Ruhestand, wenn man ihn fragte, wie es ihm geht. Bei ihm traf die Duden-Erklärung definitiv zu. Er befand sich im Einklang, war ausgeglichen und wollte keine Veränderungen mehr.
„Ja wie denn, was denn?“, fragt das kleine Wesen ungeduldig. „Bist Du nun zufrieden oder nicht?“
Ich antworte: „Ich bin momentan mit dem Gegebenen, einigen Umständen, und manchen Verhältnissen teilweise im Einklang. Und dennoch zufrieden. Und dabei gespannt, was da noch alles so kommen wird.“
„Wie soll das denn funktionieren?“, entgegnet das Wesen im Astloch.
„Na ja, das Leben ist ein Fluss, der immer mal wieder neue Aststücke, Kiesel oder dickere Felsbrocken vorbeibringt. Aber: es kommt darauf an, was ich daraus mache. Von einer klugen Frau habe ich folgenden Spruch gelesen:
Wenn Du wirklich zufrieden sein willst, kann das niemand verhindern*
Da klingt für mich der Zusatz mit: … außer ich selbst! Also ich habe mich entschieden: Ich bin zufrieden!“
„Da machst Du es Dir ganz schön einfach – oder?“, meint der Troll im Struwwelpeter. „Du schließt die Augen, begrenzt Dich auf Deine kleine Welt und hoffst, alles bleibt so wie es ist.“
Ich nicke und schüttele meinen Kopf. „Ja und nein! Die bewusste Dankbarkeit macht mich zufrieden. Klar, reduziert sie sich erst einmal auf meine „kleine Welt“. Aber die und meine Dankbarkeit endet nicht am Ende meines Kopfes. Ich teile sie. Und schaffe dadurch vielleicht auch bei anderen einen Moment von Dankbarkeit und Zufriedenheit. Wie heißt es doch so schön: „Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt. Und ich hoffe, diese Kette wäre unendlich. Dann wären alle Menschen glücklich, dankbar und zufrieden. Und die Welt ein besserer Ort“.
„Echt jetzt?“, zweifelt das kleine Wesen. "Glaubst Du, das funktioniert?"
„Ich weiß es nicht. Aber ich versuche es jeden Tag wieder. Jetzt bin ich zum Beispiel gerade sehr dankbar, Dich getroffen zu haben. Durch unser Gespräch ist mir wieder bewusst geworden, wie dankbar und zufrieden ich bin. Und Dich habe ich zum Nachdenken gebracht. Macht Dich unser kleines Gespräch ein klein wenig zufrieden?“
Nachdenklich schüttelt das Wesen sein kleines Köpfchen. Und sagt: “Ja, Du hast recht. Dankbarkeit macht zufrieden. Ich danke Dir für unser Gespräch. Ich bin zufrieden. Für den Moment. Hab‘ was Neues zum Nachdenken. Und schau mal: Da ist die Sonne. Und der Nebel ist weg.“
Ich kann gar nichts mehr entgegen, denn das kleine nette Kerlchen ist auch weg! Spurlos verschwunden. Wie der Nebel. Die Sonne scheint. Dankbar wende ich mich den leicht warmen Strahlen zu. Und setze zufrieden meine Laufrunde fort.
Liebe Korina Dielschneider, was für ein schönes Thema für eine Blogparade. Danke dafür. Macht mich dankbar und zufrieden!
* Dr. Doris Wolf, Dipl. Psychologin und Therapeutin
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