Lass uns mal ‚nen Termin für unseren Call machen!
Häh, what? Ich soll mit Dir einen Termin ausmachen, wo wir miteinander telefonieren? Was soll das denn?
Du triffst jemanden unterwegs. Privat. Ein guter Bekannter. Ihr kommt ins Gespräch. Und Dein Gegenüber sagt: Lass uns doch mal ‚nen Termin ausmachen, wo wir in Ruhe miteinander telefonieren können?
Die Rodgau Monotones hatten vor vielen Jahren einen Hit hier in Hessen. Und vielleicht auch darüber hinaus…
„Samstag Morgen in der Innenstadt
Latsch ich durch die Fußgängerzone
Ich mag keine Fußgängerzonen
Ich tu das nur, weil ich hier wohne
Da kommt mir jemand entgegen
Den hab ich ewig lang nicht mehr gesehn
Der kommt mir eher ungelegen
Doch jetzt bleiben wir voreinander stehn
Peinlich, peinlich, was soll man denn sagen
Wenn man sich nichts zu sagen hat?
Dumme Antwort auf dämliche Fragen
Bei fufzehn Stücker gibt's Rabatt
Ei gude wie
Wo machst'n hie?
Du ich muss jetzt gehen
Es war schön dich zu sehn, wir telefonieren…“
Als hätten die Rodgau Monotones es schon in den frühen 1980er Jahren gewusst. Handys waren zu der Zeit noch „große Knochen“ und weit entfernt davon, ein Gegenstand für die breite Masse zu sein. Man telefonierte meist zuhause. Übers Festnetz. Oder auch nicht. Denn der oben im Song beschriebene Bekannte wartet wahrscheinlich noch heute auf den Anruf…
Mir ist das kürzlich fast auch so ergangen. Ich traf einen guten, alten Bekannten in der Innenstadt. So einer, mit dem ich früher Stunden lang an einem Bier nippen und quatschen konnte. Oder endlose Telefonate führte. Wir hatten uns echt ewig nicht gesehen. Die Freude war groß. Und seine Zeit offenbar knapp. Er sagte: „Du, ich muss jetzt weiter. War echt schön, dich zu sehen. Lass uns doch mal ‚nen Termin machen, wo wir miteinander telefonieren.“ Und weg war er.
Ich war irritiert. Sehr sogar. Warum soll ich denn mit ihm einen Termin zum Telefonieren ausmachen? Wenn ich „Bock“ habe, ruf ich ihn an. Und entweder hat er Zeit&Bock für den Plausch, oder nicht. Ich will ja nur mit ihm quatschen. Privates. Er muss nichts vorbereiten. Sich nicht in irgend etwas einarbeiten. Es geht lediglich um einen privaten Austausch zwischen alten Bekannten.
Ich erinnere mich an Zeiten, da war das komplett unkompliziert
Früher mal, da hat man einfach angerufen. Weil man mit jemanden reden wollte. Und wenn der Angerufene den Hörer abnahm, entspann sich ein Gespräch. Wenn besetzt war, versuchte man es erneut. Und wenn niemand ran ging, dann war der gewünschte Gesprächspartner wohl nicht zuhause. Und man versuchte es erneut zu einem anderen Zeitpunkt.
Bei manchen Leuten gab es „NoGo-Zeiten“ für einen Anruf. So zum Beispiel: Sonntags zwischen 12.00-15.00 Uhr. Da fand das Familienmittagessen wahlweise mit Spaziergang oder Mittagsschlaf statt. Und nie um 20.00 Uhr. Da saß „man“ vor dem Fernseher und verfolgte gebannt die Tagesschau. Aber das ist lange her…
Wir haben uns nie nicht zu einem Telefonat verabredet! Allenfalls für ein Auslandsgespräch weit weg und in einer anderen Zeitzone. Denn die waren extrem teuer. Und deshalb sehr selten! Ein normales Orts- und auch manches Ferngespräch wurde einfach geführt. Dann und wann es passte.
Ich hab meinen Bekannten einen Tag später, am Sonntag, angerufen. Er klang erfreut. Aber auch in Eile. „Du Christine, warte mal eben. Ich muss meinen Business- noch mit dem Privatkalender synchronisieren. So jetzt habe ich alles im Überblick. Passt Dir Montag in zwei Wochen um 19.00 Uhr? Reichen uns 30 Minuten?“
Ich war, wieder, irritiert! Verwundert. Sprachlos. Und stellte mir vor, wie jetzt in dem synchronisierten Kalendern eine halbe Stunde für ein Telefonat mit mir eingetragen wurde. Wahrscheinlich farblich gekennzeichnet - privat, Priorität niedrig. Gut, ja ich weiß, das ist jetzt meine Mutmaßung. Hab‘ aber so‘n Ahnung …
Wir haben dann Montags um 19.00 Uhr telefoniert. Und ich bin gleich mal mit der Tür ins Haus gefallen. „Was soll das denn mit diesem Termin? Hey - ICH BIN‘S - Christine!!!“ Erst war er irritiert. Mein guter, alter Bekannter. Doch dann erzählte er von seinem Coach, der ihn unterstützt, Ordnung in sein scheinbar so chaotisches Leben zu bringen. Und ihm den Tipp gab, sich auch für Privates Zeitfenster zu reservieren.
Wir redeten und philosophierten über den Sinn- und Unsinn solcher Maßnahmen. Und über die „guten alten Zeiten“. In denen wir frei und ungeplant, einfach mal zwei Stunden und auch gerne mehr miteinander quatschten. Spaß hatten. Es bereichernd fanden. Und dabei trotzdem unser restliches, anderes Leben gemeistert haben. Ohne synchronisierte Kalender. Und Termin.
Wir hatten einen tollen Abend miteinander. Aus den geplanten 30 Minuten waren unversehens mehrere Stunden und auf beiden Seiten je eine Flasche Rotwein geworden. Fast! Wir haben gelacht, diskutiert, gekichert, gelästert und philosophiert. Und waren uns am Ende beide sicher, dass wir auch zukünftig KEINEN Termin brauchen, um miteinander zu telefonieren.
Liebe Christine,
schöner Artikel!
Ich steh allerdings dazu, dass uch auch Termine für private Telefonate mache. Das hat für mich einfach viele Vorteile, auch wenn es spießig klingt und man es früher anders gemacht hat.
Ich kann mich vorfreuen, ich bin innerlich drauf eingestellt (ja, klingt vielleicht krass, dass das nötig sein soll, aber bei vollem und forderndem Alltag habe ich oft das Bedürfnis, abends von nichtsmehr überrascht zu werden). Und ich hab alles da (Tee und so, auch schön ;-)
Aber klar, jede/r tickt da anders. Nun müssen nur noch die beiden, die da telefonieren wollen, sich einig sein ;-) Ich mach es dann so, dass ich mir nen Kalendereintrag mache, dass ich anrufen will, und für den anderen…