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AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Spazierende Bettdecken mit Wolfstatzen

Gesteppte Federbetten mit verschiedenen Schuhen vor einer Skyline
Wandelnde Plumeaus in Mainhatten

Jetzt geht sie wieder los: Die kalte, nasse und dunkle Jahreszeit. Ja, es ist Herbst in unseren Breitengraden. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger, die Sonne macht sich meist rar. Das führt zu veränderten Temperaturen. T-Shirts taugen nun allenfalls als Basis unter Pullis. Und auch die heiß geliebte Jeans- oder Lederjacke dürfte dich am frühen Morgen und späten Abend frösteln lassen. Dafür beginnt jetzt die Zeit der Funktionsjacken und Puffer-Jacken. Fast vollkommen verschwunden sind dagegen Wollmäntel oder -jacken. Warum eigentlich?


Morgens früh in der S-Bahn Richtung Innenstadt. Die Menschen, die sich noch schnell in das hochgeheizte und total überfüllte Zugabteil quetschen, fahren zur Arbeit. Die meisten von ihnen ins Büro. Da arbeitet man in Frankfurt-City, in einem der Türme von Mainhatten.


Ich sitze in der Bahn und bin irritiert. Über die Bekleidung der meisten meiner Mitreisenden. Liegt deren Büro mitten in der Wildnis statt im 37. Stock eines der gut beheizten Bürotürme? Müssen sie jetzt gleich in der Lage sein, mit Steinen draußen ein Feuer zu entfachen und dabei – mindestens – eine Alpenüberquerung bestehen? Ich schätze, eher nicht. Und trotzdem kann ich in meinem Teil der S-Bahn lediglich drei Menschen ausmachen, die eine "normale" Jacke oder einen Wollmantel tragen. Mindestens 47 haben Outdoor- oder Pufferjacken, alternativ lange aufgeplusterte Mäntel, an.


Am Zielort, mitten im Frankfurter Bankenviertel angekommen, steige ich aus. Und schaue dem Tross der Berufstätigen nach. Wie sie schnell in den Türmen von Mainhatten verschwinden. Mein Eindruck: Die eine Hälfte trägt Jacken aus Soft-, Hard- oder Active-Shell, gerne die mit der Wolfstatze. Natürlich winddicht, dabei aber atmungsaktiv, wasserabweisend oder gar regendicht. Und auf jeden Fall aus Gore- oder, irgendwie netter, Sympatex (hat das was mit Sympatisch zu tun?). Heute strahlt herbstliche Sonne durch die Hochhausschluchten der Frankfurter Innenstadt. Aber es könnte ja unerwartet Sturm und Starkregen einsetzen. Vielleicht kommen auch Bulle und Bär* urplötzlich um die Ecke. Da ist es schon extrem praktisch, wenn das Material der Jacke abriebfest, wasserabweisend und die Reflektoren die heran trabenden Viecher aus Bronze warnen.


Bulle und Bär Skulpturen vor der Frankfurter Börse
Ganz gefährliche Viecher - Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse

Die andere Hälfte der Menschen federt federleicht gewandet in sogenannten Puffer-Jacken und Mänteln durch die Stadt. Je mehr Volumen, um so leichter. Fast könnte man meinen, Frau Holle hätte all ihre Federn ausgeschüttet, die dann in Westen, Jacken und Mäntel eine neue Bleibe gefunden haben. Einige der Design-Hüllen sind so opulent, dass der Anschein entsteht, Omas Bettdecke, früher auch Plumeau genannt, schwebt durch die City. Die Modelle gibt es auch ökologisch-korrekt. Dafür wird irgendein anderes Material, für das keine Gänse gerupft werden müssen, verwandt. Macht in der Optik der "spazierenden Bettdecke" keinen Unterschied. Und ich stelle mir die Frage: Was ziehen diese Menschen an, wenn es mal so richtig eisig kalt werden sollte? Hey, wir haben gerade mal Oktober und bisher gab es nicht mal in der Nacht Temperaturen nahe null Grad.


Offenbar sind wir gerne für alle Gefahren gerüstet. Gegen Regen, Bulle und Bär und plötzliche Kälteeinbrüche. Finde ich ja gut. Vorbeugen soll ja besser sein als heilen. Aber: haben wir so wenig Vertrauen? In unser Gefühl, unser Wissen oder schlicht in die Vorhersage der Wetter-App? Und was ist mit Stil und Geschmack? Hast du je in Italien, Spanien oder Frankreich so viele Funktionsjacken im Stadtbild gesehen? Dabei ist es ja nicht so, als gäbe es Herbst und Winter nur zwischen Garmisch und Flensburg …


Funktions- und Puffer-Jacken mögen ja praktisch sein. Aber: könnte es die bitte auch in hübsch geben? In Formen und Farben, die den Menschen darin gut kleiden und somit noch ein wenig attraktiver machen? Und, wenn es sein muss, Bullen, Bären, Regen und Kälte abhalten. Das wäre schön.


Ich bin in dem Hochhausturm, in den ich heute möchte, angekommen. Am Fahrstuhl wartend knote ich den Gürtel meines leichten Wollmantels auf. Schwingenden Schrittes kommt eine Frau auf mich zu. Schaut mich an, nickt erkennend und bindet den Gürtel ihres Mantels auf – einen gut geschnittenen, eleganten Wollmantel. Schlicht und total schick.


Amüsiert lächle ich und denke: Ich muss meine prozentuale Annahme wohl korrigieren. Es tragen dann wohl "nur" jeweils 49,4% Funktions- oder Puffer-Jacken.



*Die großen Bulle und Bär Skulpturen aus Bronze stehen an der Frankfurter Börse mitten in Mainhatten

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1 Comment

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Guest
vor 4 Tagen

Ach Christine, wie herrlich du dieses Mal wieder die Beobachtung deiner Umgebung in Worte gefasst hast. Ich musste so herzlich lachen. Besonders über Bulle und Bär, die ja ein Symbol der Börse und des Geldes sind.

Liebe Grüße von Edith

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